Technik prägt die gesellschaftliche Raumerfahrung: von der Erreichbarkeit entfernter Orte durch Techniken und Infrastrukturen der Mobilität, über die Erschließung des Stadtraums mit Online-Kartendiensten, die Interaktion mit technischen Assistenzsystemen im Wohnraum, dezentral-vernetzte Arbeits- und Produktionsprozesse, bis hin zum online-shopping, das nicht zuletzt durch die globalen Netze der Logistik möglich gemacht wird. Selbst die Erfahrung scheinbar nicht-technisierter Naturräume ist zutiefst vermittelt durch Technik: von der weltumspannenden Wissensinfrastruktur der Erdsystemforschung bis hin zu lokalen Projekten, die bedrohte Tierarten mit Sensoren sichtbar machen. Diese technische Raumerfahrung kann immer weniger als eine abgeleitete Raumerschließung verstanden werden, die einem „ursprünglichen“, verkörperten In-der-Welt-sein gegenübergestellt ist. Vielmehr werden technische Devices immer mehr zu selbstverständlichen Bestandteilen des Alltags, mithin sogar des Körpers, und ermöglichen so eine zunehmend intuitive Raumerfahrung. Techniken werden zur Lösung gesellschaftlicher Probleme mobilisiert, erzeugen aber auch selbst gewaltige Probleme und nicht-intendierte Nebeneffekte.

Die NKG soll einen Überblick über die kulturgeographische Technikforschung und die Vielfalt ihrer theoretischen Inspirationen, konzeptionellen Zugänge und empirischen Gegenstände ermöglichen. Diese Vielfalt soll zum Ausgangspunkt der Diskussion werden: Wie kann die Kulturgeographie Ansätze der sozial- und kulturwissenschaftlichen Technikforschung produktiv aufnehmen und weiterentwickeln? Inwieweit wird durch den Fokus auf Techniken und technologisch-generierte Daten das konstruktivistische Paradigma, das die Neue Kulturgeographie seit ihrer Entstehung geprägt hat, herausgefordert und durch post-konstruktivistische Perspektiven erweitert? Welche analytischen und kritischen Positionen kann die kulturgeographische Technikforschung jenseits von konservativem Kulturpessimismus, aber auch jenseits von naiver Technikbegeisterung oder akzeptanzfördernder Begleitforschung erschließen? Welchen Beitrag kann sie zum Verständnis der kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen unserer Zeit leisten?

Wir freuen uns über Beiträge, die sich den folgenden Fragen und Themen widmen:

  • Wie drücken sich in Technologien bestimmte Zukunftsvisionen, Utopien und Dystopien aus? Welche Bedeutung kommt Technologien in Vorstellungen von gesellschaftlichem „Fortschritt“, „Modernisierung“ oder „Entwicklung“ zu?
  • Wie wird Technik als Vermittlerin zwischen Natur und Kultur mobilisiert? Wie verändern Biotechnologien das Verhältnis von Leben und Technik? Welche Bedeutung haben technische Infrastrukturen für die Organisation von Stoffwechselprozessen zwischen Natur und modernen, urbanisierten Gesellschaften? Welche Formen von Naturerfahrungen, Naturschutz, Natureinhegung und -kontrolle ermöglichen Technologien?
  • Wie werden durch Technologien globale räumliche und soziale Ungleichheiten perpetuiert bzw. verstärkt? Wie und wo zeigen sich lokale Aneignungsprozesse global zirkulierender Technologien?
  • In welchem Verhältnis stehen Formen von technisch intensivierter Überwachung, Kontrolle und Disziplinierung und die ermächtigenden Effekte von Technologien? Gibt es so etwas wie emanzipatorische Technologien? Wie können Techniken für emanzipatorische Projekte angeeignet werden?
  • Welche Rolle spielen technische Devices für die Selbst- und Fremdführung? Wie verschränken sich technisch gestützte Selbstführung und größere politische Rationalitäten?
  • Reflexion des Technikbegriffs: Geht es nur um Artefakte? Welches Potenzial haben „weite“ Technikbegriffe, die auch Phänomene wie Verfahrenstechniken, Selbst- und Regierungstechniken bzw. -künste umfassen, für die kulturgeographische Technikforschung?
  • Konstruktivismus/Post-Konstruktivismus: Welche Rolle spielt Technik für eine Rekonfiguration von Raum? Inwieweit tragen Technologien und die durch sie generierten Daten zu einer vermeintlichen Re-Objektvierung des Raumes bei?

Jenseits dieser Themen freuen wir uns auch über Beiträge, die sich grundsätzlichen epistemologischen, theoretischen und methodologischen Fragen widmen und dabei Ansätze z.B. der Wissenschafts- und Technikforschung, der feministischen Technikforschung, oder post-humanistische Perspektiven aufgreifen. Neue Technologien ermöglichen nicht nur eine Erweiterung der Gegenstände und Werkzeuge kulturgeographischer Forschung, sondern verändern auch Erkenntnismöglichkeiten und tragen damit zur Weiterentwicklung unterschiedlicher theoretischer Perspektiven bei. An dieser Stelle soll auch Raum gegeben werden für kritische und kreative Reflexionen entsprechender Forschungspraktiken. Inwieweit fördert die Entwicklung technologischer Innovationen den experimentellen Charakter von Wissenschaft (z.B. im Rahmen von Entwicklungsexperimenten, „Reallaboren“ etc.) und welche Potenziale und Probleme ergeben sich daraus?

Neben Vorschlägen für einzelne Vorträge nehmen wir gerne auch Ideen für ganze Panels inkl. Vortragende, Vorschläge für alternative Formate sowie Abstracts mit kulturgeographischen Schwerpunkten abseits des Konferenzthemas entgegen unter:

nkg17@uni-bonn.de

Deadline für die Einreichung ist der 31. Oktober 2019. 15. November 2019. Die Deadline wurde verlängert. Weitere Infos zu Anmeldung und Programm folgen.

Die Tagung beginnt am Donnerstag, 30. Januar 2020 um ca. 17 Uhr und endet am Samstag, 01. Februar 2020 um etwa 15 Uhr. Veranstaltungsort ist das Geographische Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

OrganisatorInnen: Nadine Marquardt, Julia Verne, Julia Poerting, Malve Jacobsen, Veit Bachmann, Hannah Pilgrim